Eindringliche Fragmente der Erinnerung

Die Kunst von Ilenia Mars


Die Arbeiten von Ilenia Mars stellen einen intensiven Dialog mit den unausgesprochenen Geschichten dar, die zwischen den Rissen familiärer Strukturen und den Narben persönlicher Traumata verborgen liegen. In ihren Werken begegnet man Wut, Verlust und Verletzlichkeit. Sie sind eine Auseinandersetzung mit dem, was bleibt, wenn Ordnung zerbricht. Stets geht es um einen transformierenden kreativen Prozess. Mit einer Vorliebe für Fundstücke, die sie auf der Straße findet, erschafft sie Malereien, Objekte und Installationen, die den Blick hinter die Fassade menschlicher Beziehungen lenken. Kaputte Teller, verbogene Kuchengabeln, zerbrochene Gläser, oder auch zerrissene, bisweilen zerfetzte Stoffteile, zeigen das bisher Verborgene, das Chaos und die Fragilität menschlicher Beziehungen und gesellschaftlicher Systeme.

Sie nutzt als Materialien aus dem Vergessen, all das, was andere bereits achtlos weggeworfen haben, was aussortiert wurde und für andere wertlos geworden ist. Diese haben bereits eine eigene Geschichte, die sie selbst jedoch nicht kennt. Dennoch stellen diese ausrangierten Objekte für Ilenia Mars Zeugnisse von emotionalen Konflikten dar, die nicht verblassen, sondern in neuer Form weiterexistieren dürfen. Es sind Erinnerungsfragmente, wie sie es selbst nennt, die zu Metaphern für Zerfall aber auch Widerstandskraft werden. Auf sehr persönliche Weise benutzt sie also Fragmente, indem sie diese kunstvoll auf Leinwände, Holzplatte, Pappen oder auch ebenfalls gefundene Möbelstücke, wie einem kleinen Tischchen, arrangiert.

Sie zwingt uns dazu, genau hinzusehen, was unter der Oberfläche lauert, verborgen ist. So scheinen manche Elemente aus einem starren Korsett auszubrechen, sprechen von unterdrückter Wut und unerfüllten Erwartungen. Auch teils mit groben Stichen zusammengenähte Stoffe deuten auf den oftmals vergeblichen Versuch hin, Brüche oder Verluste sichtbar zu machen und diese zu kitten.

So findet sich vielfach auch die innere Zerrissenheit der Künstlerin wieder. Ihr Material wird zum Spiegel tradierter Muster und innerer Brüche. Die impulsive Zerstörung zeigt die gestalterische Energie der Künstlerin und stellt hierbei keinen Endpunkt, sondern einen Ausgangspunkt für eine neue Erzählung dar.


Wut als schöpferische Dynamik

Wut ist eine treibende Kraft in den Arbeiten von Ilenia Mars. Diese bleibt nicht roh oder destruktiv, sondern verwandelt sich in oftmals feinfühlige Ausdrucksformen, welche die Betrachtenden aufrütteln und eigene, persönliche Emotionen erzeugen sollen. So zerschlägt sie zuvor Teller oder Gläser und fügt die Scherben präzise wie Mosaikstücke in ein Gesamtwerk ein. Manchmal tragen die zerstörten Objekte zwar Spuren von Gewalt, aber im Zusammenspiel mit der Farbe entsteht etwas Neues: ein geordnetes Chaos, welches zugleich verstört als auch fasziniert. In einem Objekt aus der Reihe „Tanti auguri“, was „Herzlichen Glückwunsch“ bedeutet, arrangiert sie scheinbare Relikte eines gescheiterten Familienerlebnisses und vermittelt beklemmende Leere und verdeutlicht, wie unausgesprochene familiäre Konflikte von innen heraus zerstört werden. Die Objekte wirken vertraut und gleichzeitig verstörend – wie Erinnerungen, die sich der klaren Definition entziehen. Ilenia Mars spielt mit dem Ungleichgewicht von Nähe und Distanz, von Schutz und Verletzung, das in vielen gestörten Familienverhältnissen zu finden ist. Familienstrukturen geraten in ein Ungleichgewicht.

Manche der malerischen Werke sind von kraftvollen, impulsiven Pinselstrichen geprägt, mal von heiter wirkenden Farben, die auf den Untergründen pulsieren und oft mit übertrieben viel Glitzer versehen sind – aber auch von düsteren Schlingen, welche sich durch manches Bild schlängeln, womöglich als Ausdruck aufgestauter Emotionen oder Ärger. Auch die Szenerien beobachtende Augen finden sich in den Malereien wieder und ringen gleichermaßen mit anderen, manchmal geradezu plakativen Elementen, um die Aufmerksamkeit der Betrachtenden und ziehen diese in einen Dialog mit ihrer eigenen Verletzlichkeit hinein, konfrontieren diese unweigerlich mit der Frage: Wo endet die Wut und wo beginnt die Heilung?

Im auffälligen Gegensatz zu den zerstörten, rohen Materialien ihrer Objekte steht die Tendenz zur Überdekoration in vieler ihrer Arbeiten. Glitzernde Elemente, bunte Stofffragmente oder überbordende Verzierungen verdecken auf den ersten Blick die Spuren von Brüchen, von – womöglich psychischer – Gewalt. Beim genaueren Hinsehen wird deutlich, dass der Glanz brüchig ist. Manche Details offenbaren Risse, manche Pinselstriche wirken wie hastig hingeschmiert . Diese Überladung wird zur Metapher für den gesellschaftlichen Umgang mit Traumata. „Schmerz wird oft mit einer glitzernden, glänzenden Fassade überdeckt – doch die Risse brechen irgendwann hervor“, sagt sie. Die Überdekoration dient somit– aus einer gefühlten Hilflosigkeit heraus – auch als Schutzmechanismus.

Auch grelle Akzente kontrastieren mit düsteren Themen. Doch hinter mancher ornamentalen Schicht verbirgt sich keine Leichtigkeit, sondern ein bewusstes Verbergen. Ilenia Mars beschreibt dieses als visuelle Metapher familiärer und gesellschaftlicher Systeme, die ihre Konflikte hinter einer glänzenden Fassade kaschieren. Der Überfluss an Dekor wirkt nicht versöhnlich, sondern irritierend, als wolle er ablenken von dem, was darunter liegt.


Ein Raum für Reflexion

Ilenia Mars schafft mit ihren Werken nicht nur Kunst, sondern auch Räume für Reflexion. Eine Ausstellung ist so gestaltet, dass sich Besucher:innen zwischen den Arbeiten bewegen wie durch die Fragmente einer kollektiven Erinnerung. Ihr gelingt es, die Dynamik von Zerstörung und Wiederaufbau erlebbar zu machen. So hängen an den Wänden oder liegen und stehen auf dem Boden stumme Zeugen von Konflikten. Ihre Arbeiten mögen roh und ungeschönt wirken, sind aber selten von purer Hoffnungslosigkeit geprägt. Vielmehr zeigt sie auf, dass selbst im Zerstörten eine Geschichte weiterlebt, dass sich Vergangenheit nicht gänzlich auslöschen lässt, dass aus all diesen Fragmenten neue Zusammenhänge entstehen können.

„Zerstörung ist nicht das Ende“, meint die Künstlerin: „Zerstörung und Brüche sind nur Momente, in denen wir wirklich hinsehen müssen, um zu verstehen, was daraus entsteht.“ So ist ihre Kunst unbequem, manchmal schmerzhaft, aber gerade deshalb so eindringlich. Die Kunst von Ilenia Mars ist unbequem, manchmal schmerzhaft, aber gerade deshalb so eindringlich. Sie erinnert daran, dass Ängste oder Gefühle wie Wut und Trauer aus Traumata nicht verdrängt, sondern durch kreative Auseinandersetzung transformiert werden können. In den gefundenen Materialien, in den überdekorierten Oberflächen und oftmals verzerrten Symbolen spiegelt sich eine universelle Wahrheit: „Die Vergangenheit lässt sich nicht auslöschen, doch sie kann in neuen Formen weiterleben – und vielleicht ein Stück weit heilen.“


Text: Volker Schwennen Kurator


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